Herausgegeben von der Ortsgruppe Bad Münder des Heimatbundes Niedersachsen e.V.
Der 87jährige Friedrich Siegmann schrieb diese Chronik im Jahre 1992 aus dem Gedächtnis nieder. In zahlreichen Gesprächen mit dem Redakteur erhielten die Aufzeichnungen 1994 ihre endgültige Form...
Teil 1: Handel und Gewerbe um die Jahrhundertwende
Um 1900 arbeiteten in Nettelrede die Schmiede Wehrhahn, Beckmann und Dünte. Die Gebrüder Wehrhahn betrieben eine Nagelschmiede. Ihren Blasebalg trat ein Hund, den sie riefen, wenn die Luft "raus" war. Sie verkauften ihre Produkte in den Dörfern. Die Schneider Hunte, Lange, Meyer und Kütemeyer versorgten ihre Mitmenschen mit der notwendigen Kleidung, die Schuster Behnsen, Lange und Wente mit Schuhwerk. Außerdem gab es noch die Tischler Krückeberg, Seidel, Wehrhahn, Busse, Meyerhoff und Mensing sowie den Stellmacher Leifheit. Die Seidels und die Wehrhahns waren gleich dreimal vertreten. Die Tischler ließen ihr Holz von der Rahlmühle mit Wasserkraft schneiden. Sie holten es von dort mit dem Handwagen ab, oder sie ließen es sich bringen. Ihre fertigen Stühle schafften sie zum Bahnhof. Alle Handwerker präsentierten ihren Kunden ihre Rechnungen zwischen Weihnachten und Neujahr mit der Bemerkung: "Viele Glückwünsche zum neuen Jahr!"
An der Stelle, an der Volkers Hof steht, gab es eine Ziegelei, deren Tonkuhlen oberhalb des Wasserbehälters lagen. Das Werk lieferte auch Steine für den Bau der neuen Kirche, der Dyonisius-Kirche. Fr. Borchard kaufte die Gebäude von Lambachs Hof und richtete dort eine Stuhlfabrik ein. 1909 brannte die Scheune ab. Sie wurde nicht wieder aufgebaut. An ihrer Stelle entstand ein Stapelplatz, auf dem das Holz zum Trocknen lagerte. 1918 erwarb Carl Sasse aus Lauenau das Werk. Es beschäftigte bis in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg etwa 120 Personen. Ab 1960 ging die Produktion immer mehr zurück. In den 70er Jahren wurde sie ganz eingestellt. Wilfried Wehrhahn kaufte die auf der Westseite der Straße gelegenen Schuppen und richtete dort eine Bautischlerei ein. Isermann brannte Holzkohle und verkaufte sie an die Schneider der umliegenden Dörfer und Städte. Die Schneider füllten mit der Holzkohle ihre großen Bügeleisen. Die vier Söhne eröffneten in den Städten Kohlenhandlungen.
Um 1900 betrieb die Gemeinde eine Steinkuhle, denn damals wurden Jahr für Jahr sehr solide Scheunen oder Wohnhäuser aus diesen Steinen gebaut. Das geschah oft in Nachbarschaftshilfe. Kies holte man von Böbber und Sand aus Eimbeckhausen von "Petschen" Heisterberg. Die Zimmerleute ließen sich das Holz vor Ort bringen und bearbeiteten es dort weiter. Die Bauherren halfen beim Holen des Holzes. Leider passierten dabei manchmal Unfälle. Weil keiner der Geschädigten versichert war, mußten sie die Arztkosten selbst tragen. Die Zimmerleute schafften mit der Quersäge, mit verschiedenen Beilen, mit Stemmeisen, Handbohrern und Holzhämmern. Eine Kreissäge gab es noch nicht. Zimmermeister Wilhelm Bergmann, der die meisten Arbeiten ausführte, wohnte oben am Texas. Er besaß keinen Lagerplatz. Lehm für die Zwischenwände der Fachwerkhäuser, für die Herde und andere Feuerungsanlagen fand man an den Wegrändern von Seyer und Ziegenbocksweg, an der Rahlmühle und an der Ziegenbuche. In der Feldmark lag eine Mergelkuhle, die den für die Felder nötigen Dünger lieferte.
In den 70er Jahren fuhr man sie zu. Die Elektrizität erreichte Nettelrede 1907. Friedrich Schmidts Möbelfabrik in Münder lieferte sie. Sie versorgte die Dreschmaschinen mit Kraftstrom. Cons-Motore mit 7,5 PS genügten zum Ausschlagen der Körner aus den Ähren. Wenn sich in der Ernte mehrere in das Netz einschalteten, reichte der Strom nicht aus. Vor der Einführung der Elektrizität trieben Pferdegöpel die Dreschmaschinen an. Auch sie schlugen nur das Korn aus den Ähren. Man trennte es vom Kaff mit einer handgetriebenen Windmühle. Reinigungsmaschinen kamen erst nach dem l. Weltkrieg auf. Licht lieferten 25-Watt-Kohlefaden-Birnen. Sie brannten nicht durch.