Über den Deister gehen | Band 2 (ISBN 3-9803489-7-0)
Wahre Geschichte(n), Sagen und Märchen von diesseits und jenseits des Deisters.
Eine heimatkundliche Sammmlung in zwei Bänden.
Zusammengestellt von Gudrun Wildhagen und Udo Mirau
De unglückliche Bohm oder die Sage vom Wettbergstein (oder "Junkernstein")
Tief im Walde des Deisters versteckt, abseits von allen Wegen auf der Hochfläche des einsamen Taubenberges in der Nettelreder Genossenschaftsforst steht ein großer, kunstvoll behauener Kreuzstein. Er ist schwer zu finden. Kein Wegweiser zeigt den Weg zu ihm und auch sonst deutet nichts auf ihn hin. Er ist ebenso grau wie die mächtigen Buchenstämme, die ihn umgeben. Aus Gras, Springkraut und Annemonen steigt er gleich den benachbarten Bäumen auf, als sei er selbst ein Stück Natur. Man kann auf zwanzig Meter Entfernung an ihm vorübergehen, ohne ihn zu entdecken, oder man kann ihn gar für einen abgebrochenen Baumstumpf halten. Längst hat sich die Sage um diesen Stein gerankt: Der Volksmund erzählt, daß hier ein Vater den letzten seiner sieben Söhne begraben habe. Es ist sonderbar, daß ihn dieser legendären Überlieferung die Erinnerung an eine wahre Begebenheit stecken kann, obgleich der Stein ganz eindeutig erzählt, daß er aus anderem Grunde gesetzt wurde.
Der Stein, eine Stele mit giebelartig abgeschrägtem oberen Abschluß zeigt auf der nach Osten gerichteten Vorderseite in dem dreieckigen Giebelfeld ein Wappen mit einem Ochsenkopf, wie es sich auch am Renaissance-Erker des Heimatmuseums in Bad Münder befindet. Es ist das Wappen der Herren von Wettberg, deren Stammburg in Wettbergen bei Hannover schon im Jahre 1338 zerstört wurde. - Bei Bauarbeiten für das Heimatmuseum in Bad Münder fand man unter dem Hof das Bruchstück eines Wappensteines, das auch den Ochsenkopf zeigt und den deutlich lesbaren Rest einer Inschrift trägt: "Christoffer v.". Diesem Christoffer von Wettberg, so erzählt die Sage, wurde nach seinem tragischen Tode im Jahre 1583 der Kreuzstein auf dem Taubenberge als Erinnerungsmal gesetzt. Das Mittelfeld unter dem Giebeldreieck wird von einem großen, lateinischen Kreuz geteilt, das auf einem Rundhügel steht und die Fläche in erhabenem Relief in vier Felder teilt, die als Schriftfelder genutzt wurden. Da erfahren wir, daß der edle und ehrenfeste Christoffer von Wetttberg hier im Jahre 1583 durch einen umstürzenden Baum zu Tode kam:
ANNO DNI 1583 DEN . . . JANUARIJ
IS DE EDLE UND ERNDVESTE
CHRISTOFFER VON WETBERG
DORCH EINEN BOHM
HIERSÜLVEST DODT GEVAL
DER SELEN GOD GNEDICH SY
Christoph von Wettberg war in der Gegend reich begütert und hoch geachtet. Er wohnte in seinem Burghof in Münder. Zu seinem Besitz gehörte auch das Rittergut Luttringhausen. Der Taubenberg, auf dem der schöne Kreuzstein steht, gehörte damals zur Luttringhäuser Rittergutsforst. Dort waren seine Leute mit dem Fällen alter Buchen beschäftigt. Von dem Unglück, das sich dabei ereignete, berichtet die nach Westen gekehrte Rückseite des Steines. Auch hier beherrscht ein großes lateinisches Kreuz die Fläche. Es steht ebenfalls auf einem Hügel. Unter dem Hügel liegt ein mächtiger, umgestürzter Baum mit gewaltig dickem Stamm und gebrochenen Ästen. Das steinerne Bild ist so packend dargestellt, daß man fast meint, das Krachen des fallenden Riesen hören zu können. Über dem zerschmetterten Baum steht in großer vertiefter Schrift, den Konturen des Kreuzhügels folgend: DE UNGLÜCKLICHE BOHM ...Wenn nun der Volksmund erzählt, unter diesem Stein habe ein Vater den letzten seiner sieben Söhne begraben, so liegt auch dieser Überlieferung eine wahre Begebenheit zugrunde: Ein Enkel des Christoffer von Wettberg mit Namen Jobst Asche von Wettberg, der als mutiger Verteidiger der Feste Calenberg gegen Tilly im Jahre 1626 hervortrat, wurde auf tragische Weise zum Letzten seines Stammes, obwohl er sieben Söhne hatte. Im Kampf Habsburgs gegen die Türken und im Dienste der welfischen Herzöge in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges blieben alle seine sieben Söhne auf der Walstatt. Das spricht einerseits für den Mut, die Tapferkeit und die Treue der Wettbergs, andererseits war es die Ursache für den gänzlichen Zusammenbruch des Vaters Jobst Asche und den Untergang der Familie von Wettberg. Als 1638 sein letzter Sohn, Erich Jobst von Wettberg, vom Tode dahingerafft wurde, zog sich Jobst Asche auf sein Gut Öhrsen bei Hilligsfeld zurück. Er verschenkte wertvolles Land und setzte auf seinen zahlreichen Besitzungen Pächter ein - so auch auf seinem Burghof in Münder, der seitdem der 'Pächterhof genannt wurde. Jobst Asche von Wettberg starb gänzlich vereinsamt im Jahre 1644. Mit ihm erlosch das Geschlecht derer von Wettberg, das so eng mit der Stadt Münder verbunden war. Der Wettbergstein wird auch 'Junkerstein' genannt. Den Namen mag er daher haben, weil im 15. Jahrhundert, als die Zeremonie des Ritterschlages mehr und mehr außer Mode kam, die Bezeichnung "Junker" nicht nur auf die jungen Männer, sondern auf alle ritterbürtigen Edeligen ohne Bezug auf ihr Alter angewendet wurde. Also war auch Christoffer von Wettberg, obwohl ein alter Mann, ein Junker. Und der ihm gewidmete Stein trägt zu Recht auch den Namen ..Junkerstein".
Der beiden Bildaufnahmen stammen von der Internetseite: